Kritik am Allgemeinen Wirtschaftsverständnis
oder: Woher kommt der Lebensstandard?
Einleitung
Nicht nur unter Eltern, die von ihren Kindern unablässig zu den alltäglichsten Sachen befragt werden, ist bekannt, dass gerade jene neugierigen Fragen, die auf den ersten Blick banal zu seien scheinen, in die fundamentalsten aller Abgründe führen können. Eine solche Frage, ist die hier anvisierte: Was ist Wirtschaft? Im ersten Moment, meinen wir eine Antwort könne so schwer nicht sein. Und doch gibt die international gut beleumundete Encyclopedia Britannica an:
„Niemandem ist es je gelungen, den Umfang der Wirtschaftswissenschaften genau zu definieren.“ [1]
Stattdessen gilt bis heute jene Definition von Jacob Viner als die sicherste Bank: „Economics is what economists do“ - „Wirtschaft ist, womit sich Wirtschaftswissenschaftler beschäftigen.“
Vielleicht wird es verwundern zu lesen, dass Wirtschaft gar kein klar bestimmter Begriff sein soll. Sicher hat sich im allgemeinen Verständnis eine Idee von Wirtschaft eingenistet, die entgegen der im Fach bekannten Probleme, ein exaktes Bild vermittelt. Die Wirtschaftsmenschen, die wir vor Augen haben, krabbeln nicht verwirrt über den Teppich ihrer Büroetage, sondern machen auf uns einen aufgeräumten, entschiedenen Eindruck. Es sind praktische Menschen, die sich ihren Aufgaben mit Entschlossenheit entgegenstellen. Und auch wir sind uns im Klaren darüber, was es bedeutet, die häusliche Wirtschaft, unseren eigenen Haushalt, zu handhaben.
Diesem ersten Impuls an Unternehmen und unseren Haushalt zu denken, müssen wir widerstehen. Wie Pflanzen und Tiere Ökosysteme bilden, bilden einzelne Wirtschaftssubjekte Wirtschaftssysteme. Das Studium einzelner Tiere und Pflanzen aber ist noch kein Studium der Natur in ihrer Gesamtheit. Selbst die Untersuchung eines ganzen Ökosystems ist es nicht. Mit dem Studium der Wirtschaftssubjekte und -systeme verhält es sich ebenso. Es ersetzt das Nachdenken über die Wirtschaft in ihren ausladenden Dimensionen nicht. Jene Wirtschaftsmenschen, an die wir denken, sind zumeist Betriebswirte unterschiedlicher Statur, die sich den Freuden des Greifbaren und bestehenden Strukturen hingeben. Die Wirtschaft als solche, nehmen sie nicht in den Blick. Dies ist das vorrangige Vergnügen politischer Ökonomen.
Der Begriff der politischen Ökonomie, ist aus der Mode gebracht worden. Er steht jedoch am Anfang der modernen wirtschaftswissenschaftlichen Disziplin. Der mitunter als Vater der Ökonomie bezeichnete Schotte Adam Smith, verstand sich als politischer Ökonom und auch das Denken über die Wirtschaft in ihrer Gesamtheit wurde als Denken über die politische Ökonomie bezeichnet. Dies ist der Grund, warum das Hauptwerk des bekannten Ökonomen Karl Marx „Das Kapital“ den entsprechenden Untertitel trägt: „Kritik der politischen Ökonomie“. Es gibt Gründe, warum der Begriff der politischen Ökonomie gegangen wurde. Aber das ist eine Geschichte für einen anderen Tag. Was ich nur deutlich machen will ist, dass wir die Unternehmens- und Haushaltsbrille absetzen und den Blick für die übergeordneten Zusammenhänge finden müssen. Denn überall da, wo wir die Wirtschaft im Ganzen betrachten und gestalten wollen, werden wir von diesem eher betriebswirtschaftlichen allgemeinen Verständnis der Wirtschaft auf geistige und praktische Irrwege geschickt. Mit diesem „allgemeinen Verständnis“ meine ich das, was ich in den meisten Diskussionen höre, wovon ich annehme, dass es ein beträchtlicher Teil der Menschen denkt und was sich abseits fachlicher Literatur zum Wesen der Wirtschaft lesen lässt.
Wie eingangs erwähnt, werden wir uns hier in einige Abgründe begeben. Deshalb wird die Untersuchung der gestellten Frage drei Teile umfassen. Im ersten Teil werde ich die Probleme des allgemeinen Verständnisses von Wirtschaft aufschlüsseln und einen der vielen umfassenderen aber fachlich akzeptierten Begriffe von Wirtschaft mit seinen weitreichenden Implikationen wiedergeben. Im zweiten Teil kritisiere ich auch diesen erweiterten Begriff und entwickele meinen Eigenen. Dieser sieht die Aufgabe der Wirtschaft nicht primär im Arrangement von Wirtschaftsgütern, sondern in der Ordnung sozialer Beziehungen. Im dritten Teil ziehe ich daraus Konsequenzen für mein politisches Denken und entwickle konkrete Ansprüche an die Wirtschaftspolitik.
Das allgemeine Verständnis
Wahrscheinlich schmeicheln wir der Allgemeinheit, wenn wir davon ausgehen, dass diese im Schnitt so stabil informiert ist, wie die nicht-fachlichen Nachschlagewerke, die wir nun für unsere Definition heranziehen. [2] Dennoch denke ich, dass wir so ein gutes Bild der verbreiteten Auffassung über das Wesen der Wirtschaft abbilden können. Die Definitionen der entsprechenden nicht-fachlichen Lexika lassen sich auf Folgende vereinen: [3]
„Wirtschaft ist die Gesamtheit der Einrichtungen und Maßnahmen zur Produktion und Verteilung von Wirtschaftsgütern sowie der Erscheinungen und Prozesse, die damit in Zusammenhang stehen.“ [4]
Die Unzulänglichkeiten dieser Definition lassen sich im Wesentlichen in drei Kategorien einteilen:
1. Sie lädt dazu ein, Wirtschaft mit einem Wirtschaftssystem zu verwechseln.
2. Sie greift auf den unscharfen Güterbegriff zurück und kann das Wirtschaftliche kaum vom Nicht-Wirtschaftlichen abgrenzen.
3. Sie unterschlägt die Generierung der Bedürfnisse durch die Wirtschaft und vergisst so einen zentralen Steuerungsmechanismus wirtschaftlicher Entwicklung.
1. Wirtschaft und Wirtschaftssystem
Beginnen wir mit einer Unzulänglichkeit, die nicht wirklich unserer Definition, sondern eher einem konturlosen Denken anzudichten ist. Der einzige Verweis auf die Natur des Wirtschaftens im allgemeinen Verständnis liegt in der „Produktion und Verteilung von Wirtschaftsgütern“. Alles Weitere erfasst nur Begleitphänomene. Es braucht weder eine Finanzaufsicht noch Unternehmen oder Märkte, damit es wirtschaftet. So lange produziert und verteilt wird, egal in welcher Form, ist es Wirtschaft.
Jedes Wirtschaftssystem findet folglich auf einem Spektrum statt. Wie sich die Farben ineinander überfließend im Farbtonkreis abbilden, lassen sich unterschiedliche Wirtschaftssysteme in ihren mannigfaltigen Ausprägungen unter einem Begriff von Wirtschaft fassen. Deshalb kann es nie „den Kapitalismus“ oder „den Sozialismus“ geben, sondern nur Spielarten unterschiedlicher Wirtschaftssysteme mit ihren ganz individuellen Eigenschaften. Ein sauberer Wirtschaftsbegriff ist gleichzeitig eine Impfung gegen ökonomisches Schwarz-Weiß-Denken.
Vergessen wir also den unerheblichen Teil, bleiben uns die „Produktion und Verteilung von Wirtschaftsgütern“.
2. Unscharfer Güterbegriff
Wo die Wirtschaft der „Produktion und Verteilung von Wirtschaftsgütern“ dient, ist das Wirtschaftsgut der Dreh und Angelpunkt allen Handelns. Wirtschaft wird zur Auseinandersetzung mit dem Wirtschaftsgut. Was zunächst handfest klingt, löst sich bei näherem Hinsehen auf, wie das Eis in der Sonne.
Zum Wirtschaftsgut heißt es zunächst im Fachlexikon Gabler:
„Gut, das nicht zu jeder Zeit und an jedem gewünschten Ort in der gewünschten Qualität und Menge zur Verfügung steht (verfügbare Gütermenge < Bedarfsmenge).“ [5]
Man unterscheidet also zwischen knappen Gütern, die Teil der Wirtschaft sind und freien Gütern, die es nicht sind:
„[…] Im Gegensatz zu freien Gütern unterliegen ökonomische bzw. wirtschaftliche Güter der Knappheit (knappes Gut). Nur letztere sind Gegenstand des wirtschaftenden Handelns von Menschen, […]“ [5]
Gedanklich steht zur Bestimmung der Wirtschaftsgüter auf der einen Seite eine Bedarfsmenge und auf der anderen Seite eine Gütermenge. Der Bedarf ist dabei immer größer als die verfügbare Gütermenge. Sobald ein Gut „zu jeder Zeit und an jedem gewünschten Ort in der gewünschten Qualität und Menge zur Verfügung steht“ verliert es seinen Status als Wirtschaftsgut. Dabei begründen die einzelnen Wirtschaftssubjekte diese Knappheit. Augenscheinlich wird dies bei Gegenständen, die mit berühmten Persönlichkeiten oder wichtigen Ereignissen in Verbindung stehen. Der Status dieser Memorabilia als Wirtschaftsgüter, ergibt sich einzig aus dem Wunsch der Leute, über sie zu verfügen. Diese Bedürfnisse begründen den Wert, eines von einem Popstar angebissenen Toastbrots[6]. Auch abseits von Popstars und Toastbrot machen unbefriedigte Wünsche auf diesem Weg Güter zu Wirtschaftsgütern.
Ohne Wirtschaftsgüter ist eine Wirtschaft nach unserem allgemeinen Verständnis undenkbar. Ihre Aufgabe ist es immerhin Wirtschaftsgüter zu produzieren und zu verteilen. Wenn aber jedes dahergelaufene Bedürfnis, ein Wirtschaftsgut begründen kann, wäre Wirtschaft dann nicht die Produktion und Verteilung von potenziell allem, was auf Grundlage unbefriedigter Bedürfnisse verteilt und produziert werden kann?
Wir beginnen unsere Suche nach einer Antwort in einem Land, das keine Wünsche offenlässt. Niemand dort ist hungrig und keine friert. Auf den ersten Blick ein Ort, ohne unbefriedigte Bedürfnisse, ohne Wirtschaft. Die Rede ist vom Schlaraffenland. Dort sind die Dächer der Häuser mit Eierkuchen bedeckt, der Tofu hängt frittiert am Busch und wer sich in das Jungbad begibt, erfreut sich wieder bester Gesundheit. Obendrein gibt es das alles ohne Verschleiß der Kreditkarte, nicht einmal arbeiten muss man dafür. Man darf es nicht: „Wer gern arbeitet, das Gute tut und das Böse lässt, der wird aus dem Schlaraffenland vertrieben“ [7], heißt es im Märchen vom Schlaraffenland. Was aber, wenn ich gern einer sinnerfüllten Beschäftigung nachgehen möchte? Wäre das ein Bedürfnis, das ein Wirtschaftsgut begründen könnte? Beim Hunger werden wir uns schnell einig. Der Hunger begründet einen Bedarf nach Lebensmitteln und es wird kein Gerede darum geben, dass diese Wirtschaftsgüter sind. Aber ein Bedürfnis nach sinnstiftender Arbeit, kann das ein Wirtschaftsgut begründen?
Was ein Gut zu einem Wirtschaftsgut macht, haben wir eben behandelt. Es war die Knappheit, die aus offenen Wünschen entsteht. Ein Gut als solches wiederum, ist ein „materielles oder immaterielles Mittel zur Befriedigung von menschlichen Bedürfnissen“ [8]. Da streckt die Theorie tatsächlich die Hände in die Luft. Kurz gesagt kann Alles, was in irgendeiner Form ein menschliches Bedürfnis erfüllt, ein Gut sein. Dieses unstrittig sehr breite Kriterium, trifft auch auf die Arbeit zu. Menschen können über Arbeit mehr als nur ihren Lebensunterhalt bestreiten, sondern auch psychologische und soziale Bedürfnisse erfüllen.[9] Dies ist den Personalabteilungen bekannt, die in sinnstiftenden Arbeitsplätze einen Schlüssel für die Mitarbeitermotivation und -bindung gefunden haben.[10] Und die Sinnstiftung gibt uns einen Ansatz dafür, warum Arbeitslosigkeit psychische Krankheiten begünstigt[11] und ehrenamtliche Arbeit uns erfüllt, obwohl der Geldbeutel dabei nicht klingelt.
Sinnerfüllte Arbeit ist ein Gut, weil sie bestehende menschliche Bedürfnisse bedient. Obendrein ist sie ein Wirtschaftsgut, nicht nur weil Lohnarbeit in unserem Wirtschaftssystem ohnehin knapp ist, sondern weil nicht jeder Arbeitsplatz es in gleichem Maße vermag, den Wunsch nach Sinn zu befriedigen. Wo also verläuft hier die scharfe Grenze, zwischen wirtschaftlichen und nicht-wirtschaftlichen Bedürfnissen? Was ist ein Wirtschaftsgut und was ist es nicht, wenn jedes Bedürfnis ein Gut begründen kann? Der Güterbegriff löst sich hier zunehmend in einem „Alles kann, nichts muss“ auf und grenzt so kaum noch ab, womit sich Wirtschaft eigentlich beschäftigt und womit nicht. Sie produziert und verteilt potenziell alles, was menschliche Bedürfnisse erfüllen kann, Lebensmittel ebenso wie sinnstiftende Arbeit.
Eine weitere fachliche Schärfung der Begriffe Bedürfnis, Bedarf und Nachfrage kann diese eklatante Unschärfe des Güterbegriffs nicht beheben. Ganz im Gegenteil verschärfen sich die Probleme. Denn dem landläufigen Verständnis nach, übersetzt sich ein Bedürfnis, zunächst bei bestehender Zahlungsfähigkeit in einen Bedarf und schlussendlich in eine messbare Nachfrage nach irgendeinem Gut, von dem erwartet wird, dass es die aufgetretenen Bedürfnisse befriedigt.[12] Ob das Gut dazu in der Lage ist, das Bedürfnis zu befriedigen, spielt eine untergeordnete Rolle. So kann selbst ein intimes Bedürfnis wie jenes nach Zwischenmenschlichkeit, zur Begründung von Wirtschaftsgütern wie dem Abonnement einer Dating-Plattform eingesetzt werden, ohne dass dieses Gut das Bedürfnis letztlich befriedigen können muss. Allein die Behauptung, die durch Werbung leicht aufzustellen ist, ein Wirtschaftsgut könne ein gewisses Bedürfnis befriedigen, genügt zum Erzeugen eines Wirtschaftsgutes, weil für das Bestehen von Nachfrage nicht die Befriedigung der Bedürfnisse entscheidend ist, sondern nur das weitere Bestehen der die Nachfrage begründenden Bedürfnisse. Solang der Esel hinter der Karotte herläuft, wird der Wagen gezogen und das Rad der Wirtschaft dreht sich weiter.
3. Ursprung der Bedürfnisse
Der renommierte Ökonom und Begründer der Chicagoer Schule Frank H. Knight beschrieb dieses interessante Verhältnis der Wirtschaft zu den Bedürfnissen fast auf den Monat genau vor 100 Jahren. Im August 1923 veröffentlichte er im Quarterly Journal of Economics unter dem Titel „Ethik der Konkurrenz“ diese Zeilen:
„Eine andere, ethisch grundlegendere, […] Frage […] ergibt sich unmittelbar aus der Anerkennung des vorläufigen Charakters der Bedürfnisse und der offensichtlichen Tatsache, dass die Bedürfnisse, die ein Wirtschaftssystem zu befriedigen versucht, weitgehend durch die Funktionsweise des Systems selbst erzeugt werden.“ [13]
Unsere Bedürfnisse sind laut Knight ebenso Ergebnis unserer Wirtschaft, wie alles was unternommen wird, um sie zu befriedigen. Diese Auffassung ist im Fach angekommen. Das Fachlexikon Gabler, welches wir nun heranziehen, um von unserem allgemeinen Verständnis auf einen umfassenderen fachlich akzeptierten Begriff von Wirtschaft zu kommen, definiert entsprechend:
„Die Wirtschaft, auch Ökonomie genannt, besteht aus Einrichtungen, Maschinen und Personen, die Angebot und Nachfrage generieren und regulieren.“[14]
Die „Generierung“ von Nachfrage, die im allgemeinen Verständnis fehlt, wird hier benannt. Diese Nachfrage stellt ihrerseits, wie oben beschrieben, jene Wirtschaft gewordenen Ergebnisse der Bedürfnisse dar. Was wiederum bedeutet, dass an irgendeiner Stelle Bedürfnisse generiert werden, um Nachfrage zu generieren. Um zu verstehen, wie dieser Mechanismus funktioniert, hilft es zu betrachten, was ein Bedürfnis eigentlich ist.
Das Lexikon der Psychologie Dorsch gibt dazu Preis:
„Ein Bedürfnis kann als Zustand oder Erleben eines Mangels, verbunden mit dem Wunsch ihn zu beheben, definiert werden.“[15]
Nun ist es aber nicht so, dass der Mensch zum Beispiel einen naturgegebenen Mangel an Produkten zur Beinrasur verspürt. Und es ist auch nicht so, dass Unternehmen, zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Amerika[16], zufällig, nachdem dieses Bedürfnis 300.000 Jahre unentdeckt im Menschen vor sich hinschlummerte, mit einem entsprechenden Produkt auf diesen latenten Mangel antworteten. Vielmehr ist es so, dass zur Generierung von Bedürfnissen ein Gefühl von Mangel erzeugt wird. Die Bedürfnisgenerierung funktioniert, in dem sie uns ständig weist macht, dass es uns an etwas fehlt. Im Fall der Beinrasur wurde dies über Werbemaßnahmen erreicht, die den Frauen einredeten, dass sie sich für ihre Haare schämen sollten und es ihnen an glatten Beinen mangelt.[17]
Was beim Verkauf von Produkten zur Haarentfernung funktioniert, funktioniert auch anderswo. Der Lebensstandard, den wir erwarten, ist weitgehend konstruiert. Nicht nur über die Werbung einzelner Unternehmen, sondern über die Wirtschaft insgesamt, bildet sich heraus, was wir vom Leben als Lebensstandard erwarten. Braucht es einhundert Kleidungsstücke pro Person, ein Auto, ein Haus, eine Fernreise im Jahr und Fleisch zu jeder Mahlzeit? Was wir für Wohlstand halten, ist konstruiert. Unser Lebensstandard kommt aus der Wirtschaft und ließe sich auch anders konstruieren. Deshalb schreibt der Ökonom Knight davon, dass es sich dabei um eine “ethisch grundlegendere, […] Frage“ handele. Weil wir es in der Hand haben, müssen wir uns fragen, ob wir eigentlich wollen sollten, was wir wollen, getreu dem Motto:
„Überlege Dir gut, was Du Dir wünschst – Du wirst danach wirtschaften.“
Stattdessen aber, wird diese Dimension der Wirtschaft im allgemeinen Verständnis gar nicht erfasst. Man fährt auf einem Auge blind.
Ein besserer Begriff
Der allgemein geläufige Begriff von der „Produktion und Verteilung von Gütern“, ist für mich aufgrund der ausgeführten Mängel untauglich Wirtschaft in ihrem Umfang annähernd zu erfassen, geschweige denn über politische Maßnahmen zu gestalten. Er mag tauglich sein, um hinter die Frage schnell einen Haken machen zu können, um sich dann mit einem Investmentportfolio, der anstehenden Inventur oder Personalplanung zu beschäftigen. Aber will man mit diesem Begriff über die Wirtschaft in ihrer Komplexität nachdenken und diese formen, wäre es, als würde man versuchen, ohne Kenntnis der technischen Notwendigkeiten, ein Flugzeug zu bauen. Ein solches Ding flöge schief bis zum Bruch.
Ein klügeres Verständnis haben wir bis dato in dem gefunden, was wir unter „Generierung und Regulierung von Angebot und Nachfrage“ kennenlernten. Dieser Begriff bietet zwei entscheidende Vorteile. Erstens verabschiedet er sich vom Wirtschaftsgut, das zwar konkret klingt, aber kaum bestimmbar ist und zweitens, nimmt er die Generierung der Nachfrage auf. Die Implikationen für unseren Umgang mit Wirtschaft, die von diesem erweiterten Begriff ausstrahlen und hier erläutert wurden, will ich abschließend kurz nennen, bevor ich im nächsten Teil dazu übergehe, die Axt auch an diesen neuen Begriff anzulegen:
1. Unser erwarteter Lebensstandard, unser Begriff von Wohlstand, wird in weiten Teilen in der Wirtschaft, konkret dem bestehenden Wirtschaftssystem, erzeugt und lässt sich dort gestalten.
2. Wirtschaft als solche setzt grundsätzlich kein spezielles Wirtschaftssystem voraus.
3. Potenziell kann alles, wonach der Mensch verlangt, Teil wirtschaftlicher Prozesse werden, was wiederum bedeutet, dass Wirtschaft ein Bestandteil menschlicher Gesellschaft ist, der dazu neigt jeden Lebensbereich zu durchdringen.
Die Wirtschaft entpuppt sich bei näherer Untersuchung als etwas Raumgreifendes, dessen klare Grenzen schwer zu fassen sind. Während sich um den Begriff der Wirtschaft mit fortschreitender Untersuchung ein Mantel des Nebels legt, wird unser Zitat vom Eingang klarer: „Niemandem ist es je gelungen, den Umfang der Wirtschaftswissenschaften zu definieren.“ – versuchen wir es, beim nächsten Mal.
Quellen und Anmerkungen