Für eine Progressive Allianz Sachsen im Wahljahr 2024
Liebe sächsische Parteimitglieder der Linken, Grünen und SPD,
zwei Monate vor der sächsischen Landtagswahl stehen wir trotz lesenswerter Programme und bester Absichten mit runtergelassenen Hosen da:
Die Ergebnisse der Kommunal- und Europawahlen in Sachsen sind miserabel und zeigen, dass sich nicht nur einzelne bisher etablierte progressive Parteien, sondern das gesamte progressive Lager in Sachsen in einem politischen Überlebenskampf befindet. Alle drei Parteien müssen um den Einzug in den Landtag bangen oder kommen mehr schlecht als recht über die 5%-Hürde. Realistische Optionen für eine namhafte Regierungsbeteiligung fehlen. Bestenfalls können SPD und Grüne darauf spekulieren, sich als Lückenfüller zwischen BSW und CDU wiederzufinden. Die Rechtsextremen und ihre Positionen dominieren jede Debatte. Eine sachlich unbegründete Untergangsstimmung macht sich breit, die Zweifel, Angst und Hass in den Herzen der Menschen sät. Politische Zugpferde, die es mit der medialen Strahlkraft eines Michael Kretschmer, Maximilian Krah oder einer Sahra Wagenknecht aufnehmen können, haben wir nicht. Obendrauf kommt, dass die CDU Sachsen bereits jetzt aktiv mit dem strategischen Argument mobilisiert, die AfD nicht zur stärksten Kraft werden zu lassen und einen AfD-Ministerpräsidenten zu verhindern. Dieses mathematisch korrekte Argument wird wie schon bei der letzten Wahl selbst bei den linksten Socken ziehen. Der französische Staatspräsident Macron verdankt dieser Strategie übrigens beide Amtszeiten.
Was uns Progressiven aktuell übrigbleibt, ist eine Prügelei um die Krumen, die CDU, AfD und BSW übriglassen sowie auf Skandale bei der Konkurrenz zu hoffen. Selbst wenn wir die rosarote Brille aufsetzen, alle Umfragen ignorieren und die Erfahrung von 2019 ausblenden - selbst wenn jede der drei Parteien im September zwei Prozentpunkte mehr bekommt als zur Europawahl, dann blieben wir als progressives Lager immer noch unter dem schlechten Ergebnis der letzten Landtagswahl.
Wie sollen wir unter diesen Bedingungen die soziale Gerechtigkeit voranbringen, den Klimaschutz stärken, das Land modernisieren, die Demokratie festigen und den rechtsautoritären Populisten die Stirn bieten? Wir müssen in die Offensive. Wir brauchen den Befreiungsschlag.
Ähnlich bedröppelt wie wir heute, standen unsere linken französischen Schwesterparteien noch vor einer Woche da. In Frankreich hatte Macron direkt nach der Europawahl nationale Neuwahlen ausgerufen. Innerhalb von drei Wochen, so schnell wie möglich, soll dort nun am 30. Juni gewählt werden. In einem System, wo lokal das Mehrheitswahlrecht entschiedet, hieße dies für die vielen kleinen Links-Parteien eine klare Niederlage gegenüber dem großen rechtsextremen „Rassemblement National“ einzustecken. Sicher war dies auch Teil von Macrons Kalkül. Er hat sich vielleicht gedacht: „Zähneknirschend werden die Linken schlussendlich schon meine Kandidaten wählen, weil ihnen aussichtsreiche eigene Kandidatinnen fehlen.“
Aber die französische Linke hat ihre Hose hochgezogen und sich zusammengerafft. In der Nouveau Front Populaire, der neuen Volksfront, arbeiten nun Grüne, Sozialdemokratinnen, Kommunisten und andere linke Kräfte in einer Wahlallianz zusammen. Mit gemeinsamen Kandidaten und einem gemeinsamen Programm. Hundertausende sind dieser Tage auf den Straßen gegen die rechtspopulistische Front Nationale und für ein solidarisches und gesellschaftlich fortschrittliches Frankreich. Sie halten auf ihren Schildern die neue Volksfront hoch, die auf eine 1936 begründete Tradition zurückgeht.
Auch in Sachsen können wir uns berappeln. Der schon immer nur von zweifelhaftem Erfolg geprägte, öffentliche Kampf zwischen den progressiven Parteien, entwickelt angesichts der enormen Herausforderungen eine schädliche Dynamik. Wir könnten jedoch dem französischem Vorbild folgen und diese Dynamik stoppen. Wir könnten für diese Landtagswahl und die folgende Legislaturperiode als eine Progressive Allianz zusammenarbeiten und mit diesem politischen Projekt neue Strahlkraft entwickeln.
Ein Vorschlag wie sich das in der Praxis umsetzen ließe:
1. Direktwahlkandidaturen konzentrieren. In allen Direktwahlkreisen analysieren wir, wer von den aufgestellten Kandidatinnen die größte Chance auf eine Direktwahl hat. Hinter dieser Kandidatin sammeln wir uns dann, um die Chancen auf Direktmandate zu steigern. Hierbei sollte insbesondere in den Städten darauf geachtet werden, dass Linke und Grüne mindestens zwei Direktmandate gewinnen, um ihren Einzug in den Landtag sicherzustellen. Für mich als Direktkandidat im Wahlkreis 29 würde dies wahrscheinlich den Rückzug zugunsten der Linken bedeuten.
2. Kooperationsabkommen und gemeinsame Fraktion. Alle Parteien verpflichten sich in einem Kooperationsabkommen dazu, nach der Wahl in einer gemeinsamen Fraktion zu arbeiten, die dann entsprechend auf mehr Gewicht in einer Regierung und auf mehr Sitze für ihre politische Arbeit allgemein zurückgreifen kann.
3. Gemeinsamer Wahlkampf und gemeinsame Themen. Im Wahlkampf treten wir anhand vereinbarter Linien geeint für konkrete Projekte wie ein modernes tariftreues Vergabegesetz und gemeinsame Themen wie soziale Gerechtigkeit, Demokratie und Klimaschutz auf. Die Nouveau Front Populaire hat sich auf ein gemeinsames legislatives Programm geeinigt - auch das ist denkbar.
4. Maximierung der parlamentarischen Wirkung. Über die gesicherten zwei Direktmandate für Grüne und Linke sowie die Organisation in einer gemeinsamen Fraktion nach der Wahl, wird gewährleistet, dass Zweitstimmen an Grüne und Linke nicht etwa durch eine verpasste 5%-Hürde verfallen oder durch ein Aufsplittung nach der Wahl einer gemeinsamen Arbeit nicht zur Verfügung stehen. So steigen wir mit maximaler Kraft in eine Regierungsbeteiligung oder Oppositionsarbeit ein.
Die Wahlen am 30. Juni und 7. Juli in Frankreich werden uns den Erfolg oder Misserfolg dieser Vereinigungs-Strategie schwarz auf weiß bescheinigen. Wenn dort eine vereinigte Linke erfolgreich ihre Kandidaten und Themen voranbringt und den Rechten die Schranken weist, dann werden wir uns, sofern wir nicht handeln, Untätigkeit und Zerstrittenheit als politische Schwäche auslegen müssen.
Lasst uns deshalb in dieser Stunde, in der wir herausgefordert sind, nicht schwach sein, sondern stark zusammenstehen. Gemeinsam können wir ungleich mehr für unsere Leute und die vielen geteilten Überzeugungen erreichen als getrennt.
Reden wir als Parteimitglieder, als Funktionäre, Kandidaten und Kandidatinnen über diese mögliche Kooperation in einer Progressiven Allianz Sachsen. Tragen wir diese Idee in unseren Parteien zu denen, die eine solche Zusammenarbeit möglich machen können. Reichen wir unseren Kolleginnen und Genossen die Hand. Denken wir an das alte Motto der Arbeiterbewegung: Einigkeit macht stark!
Mit solidarischen Grüßen und besten Wünschen Sascha Kodytek (Direktkandidat der SPD im Wahlkreis 29)
Dr. med. Andrea Swiridoff (Mitglied der SPD)
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